Die Sensitivitätsdebatte: Warum man Schnelltests nicht mit einer PCR vergleichen sollte

In einem kürzlich veröffentlichten Interview mit dem amerikanischen Public-Health-Experten und Epidemiologen Dr. Michael Mina von der Harvard T.H. Chan School of Public Health erläutert dieser, dass der Vergleich der Sensitivitäten von Schnelltests und PCR völlig an der Zielsetzung des jeweiligen Testgebrauchs vorbeigeht. Eine PCR findet mit größter Wahrscheinlichkeit auch die kleinste Menge Virus-RNA. Mina zufolge schlägt ein PCR-Test 20 bis 40 Tage länger positiv an als ein Schnelltest. Das mag in einem klinischen Setting von Relevanz sein, beispielsweise wenn sich ein:e Patient:in 2 Wochen nach Infektion plötzlich verschlechtert und ins Krankenhaus aufgenommen werden muss. Für eine zielgerichtete Therapie müssen die behandelnden Ärzt:innen die zugrunde liegende Ursache der Symptomatik kennen.

Regelmäßige Schnelltests entdecken Infizierte, BEVOR diese viele Menschen anstecken

Das Setting eines Public-Health-Screenings ist jedoch ein völlig anderes. Hierbei geht es darum, diejenigen Personen zu identifizieren, die das Virus weitergeben können, also die INFEKTIÖSEN. Denn seien wir mal ehrlich, was bringt es, eine schwach symptomatische Person 14 Tage nach ihrer Infektion zu identifizieren, wenn diese bereits nicht mehr ansteckend ist? Klar, man kann in diesem Moment mit der Kontaktrückverfolgung starten und die Kontaktpersonen in Quarantäne schicken. Viel einfacher wäre es jedoch, wenn man infizierte Personen zu Beginn ihrer ansteckenden Phase entdecken und eine Verbreitung somit im Vorhinein verhindern könnte. Im Moment erfährt ein Großteil der positiv Getesteten jedoch erst von der Infektion, wenn die Viruskonzentration bereits abnimmt und mehrere hochansteckende Tage vergangen sind. Wir laufen dem Infektionsgeschehen also immer hinterher.

Eine PCR ist KEIN sinnvolles Public-Health-Instrument

Möglichst früh lassen sich Infektiöse nur mit regelmäßig durchgeführten Tests entdecken. Theoretisch würde sich dafür natürlich eine PCR eignen, aber praktisch ist diese zu teuer, liefert Ergebnisse erst nach vielen Stunden bis Tagen und kann nicht einfach von jedem selbst durchgeführt werden. Sie ist also denkbar unpraktisch, um Infektiöse frühzeitig zu erkennen. Anders sieht das bei den (Antigen-)Schnelltests aus. Sie lassen sich günstig in riesigen Mengen produzieren, liefern Ergebnisse innerhalb von Minuten und ganz wichtig: Jede und jeder kann sie selbst zu Hause durchführen. 

Studie: Selbsttests liefern zuverlässige Ergebnisse

Eine neue Preprint-Studie verglich die Selbstanwendung eines Schnelltests durch Lai:innen (Nasenabstrich einer einfachen Gebrauchsanweisung folgend, alleinige Ergebnisauswertung) mit der Anwendung durch medizinisches Personal (Nasen-Rachen-Abstrich). Ergebnis: Die “professionelle” Anwendung der Schnelltests entdeckte 34 Positive, die Selbstanwendung nur einen weniger. Sechs weitere Personen konnten ausschließlich mittels PCR als infiziert ermittelt werden, fünf davon hatten nur eine geringe Viruskonzentration und waren somit vermutlich nicht ansteckend. Die Studie beweist, dass ein Selbsttest möglich und zuverlässig ist. Und nicht nur das: Die Brit:innen scheinen einen selbst durchgeführten Rachen- und Nasenabstrich für zuverlässig genug zu halten, um damit eine ganze Prävalenzstudie (REACT-1) mit 168.181 Studienteilnehmer:innen durchzuführen, wobei die Auswertung mittels PCR im Labor erfolgte und nicht in Eigenregie mit einem Schnelltest. Das Beispiel belegt jedoch, dass ein Selbstabstrich kein Hexenwerk ist.

Eine Public-Health-Maßnahme muss nicht perfekt sein

Werden mit den Schnelltests in Selbstanwendung einzelne Infektiöse unerkannt bleiben? Ja! Werden diese das Virus weitergeben? Möglicherweise. Aber in einem Public-Health-Screening geht es nicht darum, 100 Prozent der Infizierten zu finden. Sondern darum, die infektiöse Spreu vom nicht-infektiösen Weizen zu trennen. Daher ist auch der ständige Vergleich mit der PCR unangebracht. Wir benötigen hier nicht die Genauigkeit des „Goldstandards“ PCR. Das ist allerdings die Begründung, mit der die Zulassung der Schnelltests als Heimtest immer wieder abgeschmettert wird. Das ist, als würde man Personenwaagen für zu Hause verbieten, weil diese nicht so genau wie Hochpräzisionswaagen in einem Labor sind, wenn alles, was man bei einer regelmäßigen Gewichtskontrolle wissen will, ist, ob man zu- oder abgenommen hat, und nicht, ob es 7,276 g waren („Aber man könnte ja leichte Gewichtsschwankungen übersehen!“ – Ironie off).

Wir haben die Masken eingeführt, obwohl sie keinen 100-prozentigen Schutz bieten. Wir setzen alle unsere Hoffnungen in eine Impfung, welche ebenfalls keinen 100-prozentigen Schutz bietet. Wieso müssen nun also die Schnelltests eine 100-prozentige Genauigkeit aufweisen? Wenn sie in der Selbstanwendung dazu führen, dass 100 Infizierte nur noch 80 weitere anstatt 110, 120 oder 130 weitere anstecken, führen sie bereits zu einer Reduktion des R-Werts, der die Pandemie über die Zeit zum Erliegen bringt. Das passiert nicht von heute auf morgen. Dafür brauchen wir die Regelmäßigkeit und nicht hier mal einen Massentest und dort mal ein einzelnes Angebot für Erzieher:innen und Lehrer:innen. Diese mögen für den Moment sinnvoll sein, bieten aber keine Langfriststrategie, wenn man anschließend genauso weitermacht wie vorher.

Hören wir also auf, von den Schnelltests das Unmögliche zu verlangen, und fangen wir an, die Bevölkerung über die Sinnhaftigkeit eines Public-Health-Screenings mittels Schnelltests aufzuklären!

Und weil man es nicht oft genug sagen kann: „Perfect ist the enemy of the good when it comes to emergency management.“ (Mike Ryan, WHO)